Samblana
Wenn die Croderes die Wasser losschickten, Steine, Geröll und die Hütten der Menschen fortrissen, flohen die Lebenden und die Toten entsetzt aus
den Dörfern, wo kein Tisch mehr stand, kein Bett zum Ruhen; nur der Wind blies darüber weg,
als sei nichts gewesen. Bald blieben die Lebenden erschöpft und außer Atem zurück. Sie nahmen den Weg, der sie südwärts führte, bis zu den Conturines, die sicher standen, bauten an den Hängen ihre Hütten wieder auf, schlugen aus Holz und Stein neue Werkzeuge. Wenn die Hammerschläge nach sieben Tagen verstummten, gruben sie Stück für Stück
die Erde um, bauten Hirse und Rüben an. Die Hirten stiegen höher, melkten die Schafe, sammelten Milch in Holzschüsseln und ließen sie reifen. Oben in den Bergen ließ Samblana Tannas blauen Stein wie einen Spiegel über die Täler streifen, sie lockte die Sonne in die Tiefe und nahm sie abends wieder zurück.
Die toten Mädchen hatten sich auf den Weg in
die Berge gemacht, in die Felsen und Gletscher.
Sie schmiegten sich eng aneinander, hielten sich
an den Händen und ließen sich wieder los, staunten,
als sie mühelos an den steilen Wänden kletterten, sich gelenkig von Fels zu Fels schwangen.
Sie lachten und erinnerten flüsternd, wie sie einst gefroren hatten. Jetzt streichelte sie der Bergwind, sie stiegen ins Eis, nichts knirschte unter ihren Füßen. Auf einer Schneewehe gingen die Mädchen weiter, und die vordersten hielten so plötzlich inne, dass die Nachkommenden durch die Luft wirbelten und sofort wieder auf das Eis schlugen. Beinahe wären sie über die Frau gestiegen, die sie suchten, so weiß war Samblanas Haut, und ihr Kleid verlor sich in den Falten der Gletscher. Die Mädchen setzten sich im Kreis um Samblana, legten ihre Finger auf den Mund und bewegten sich kaum, um die schöne Frau nicht zu wecken. Sie saßen die ganze Nacht
bei ihr: Plötzlich brach der blaue Stein an Samblanas Stirn in ein Leuchten aus, dass die Mädchen aufschreckten und für einen Augenblick glaubten, den Schmerz zu erinnern und ihn sofort wieder vergaßen. Sie wollten die Frau aufrichten, wollten
ihr Kleid aus den Spalten heben, aber da sie im stechenden Licht nichts erkennen konnten, tasteten sie mit vielen Händen nach dem blauen Stein.
Der löste sich unter ihren Fingern und rollte an Samblanas Gesicht abwärts, den Berg hinunter
und zog die Dunkelheit nach. Die Mädchen starrten
dem Stein hinterher, einem grauen Strahl, der in
die Gletscherspalte fuhr, er ließ das Innere vom Eis aufleuchten und fiel lautlos weiter, verlor sich in einem dünnen Strich aus Licht und erlosch.
Wenn die Croderes die Wasser losschickten, Steine, Geröll und
die Hütten der Menschen fortrissen, flohen die Lebenden und die Toten entsetzt aus den Dörfern, wo kein Tisch mehr stand, kein Bett zum Ruhen; nur der Wind blies darüber weg, als sei nichts gewesen.
Bald blieben die Lebenden erschöpft und außer Atem zurück.
Sie nahmen den Weg, der sie südwärts führte, bis zu den Conturines, die sicher standen, bauten an den Hängen ihre Hütten wieder auf, schlugen aus Holz und Stein neue Werkzeuge. Wenn die Hammerschläge nach sieben Tagen verstummten, gruben sie Stück für Stück die Erde um, bauten Hirse und Rüben an. Die Hirten stiegen höher, melkten die Schafe, sammelten Milch in Holzschüsseln und ließen sie reifen. Oben in den Bergen ließ Samblana Tannas blauen Stein wie einen Spiegel über die Täler streifen, sie lockte die Sonne in die Tiefe und nahm sie abends wieder zurück.
Die toten Mädchen hatten sich auf den Weg in die Berge gemacht,
in die Felsen und Gletscher. Sie schmiegten sich eng aneinander, hielten sich an den Händen und ließen sich wieder los, staunten,
als sie mühelos an den steilen Wänden kletterten, sich gelenkig von Fels zu Fels schwangen. Sie lachten und erinnerten flüsternd, wie sie einst gefroren hatten. Jetzt streichelte sie der Bergwind, sie stiegen ins Eis, nichts knirschte unter ihren Füßen. Auf einer Schneewehe gingen die Mädchen weiter, und die vordersten hielten so plötzlich inne, dass die Nachkommenden durch die Luft wirbelten und sofort wieder auf das Eis schlugen. Beinahe wären sie über die Frau gestiegen, die sie suchten, so weiß war Samblanas Haut, und ihr Kleid verlor sich in den Falten der Gletscher. Die Mädchen setzten sich im Kreis um Samblana, legten ihre Finger auf den Mund und bewegten sich kaum, um die schöne Frau nicht zu wecken. Sie saßen die ganze Nacht bei ihr: Plötzlich brach der blaue Stein an Samblanas Stirn in ein Leuchten aus, dass die Mädchen aufschreckten und für einen Augenblick glaubten, den Schmerz zu erinnern und ihn sofort wieder vergaßen. Sie wollten die Frau aufrichten, wollten ihr Kleid aus den Spalten heben, aber da sie im stechenden Licht nichts erkennen konnten, tasteten sie mit vielen Händen nach dem blauen Stein.
Der löste sich unter ihren Fingern und rollte an Samblanas Gesicht abwärts, den Berg hinunter und zog die Dunkelheit nach.
Die Mädchen starrten dem Stein hinterher, einem grauen Strahl,
der in die Gletscherspalte fuhr, er ließ das Innere vom Eis aufleuchten und fiel lautlos weiter, verlor sich in einem dünnen
Strich aus Licht und erlosch.
"Damit zogen die Mädchen abwärts und verstreuten sich, manche schmiegten sich in einen Felsspalt, manche…, aus ihnen wurden die Blumen"
"Damit zogen die Mädchen abwärts und verstreuten sich, manche schmiegten sich
in einen Felsspalt, manche…, aus ihnen wurden die Blumen"
Im Grau, das von den Gletschern in die Täler zog, sahen die Mädchen, wie Samblana die Augen öffnete, wie sie sich aufrichtete und um sich blickte. Die Mädchen wollten ihr das Kleid aus den Spalten ziehen, doch Samblanas Befehl traf sie, scharf wie der Wind um die Felsenkare. Samblana hieß die Mädchen in Fels und Gletscher steigen und nach Tannas blauem Stein, der Rajeta, suchen. Die toten Mädchen verteilten sich über die ganze Marmolada. Die Murmeltiere färbten ihre Felle weiß und blieben in den Felsenhöhlen, wo auch Spina de Mul schlief, der Zauberer, der halb Knochengerüst war und halb Maultier. Kein Lebender kann das Rascheln seiner ausgedörrten Haut, das Klappern seiner Knochen hören, ohne ihm in sein trockenes Reich zu folgen. Aber den toten Mädchen konnte er nichts anhaben. Die Murmeltiere hüteten die Rajeta, bis sie kamen, um sie wieder hinaufzutragen an Samblanas Stirn. Die Sonne zeigte sich bleich, Samblana hatte ihren Schleier über alles geworfen. Erst als die Mädchen den blauen Stein wieder brachten, strahlte Samblana, hieß sie das Kleid aus den Gletschern heben und gab jedem von ihnen ein Stück davon; damit zogen die Mädchen abwärts und verstreuten sich, manche schmiegten sich in einen Felsspalt, manche legten sich an ein Flussbett, andere verstreuten sich über die Wiesen im Gras:
Aus ihnen wurden die Blumen.
Später, wenn sie welkten, blieb ihre Kraft in den Zwiebeln in der Erde zurück, die Menschen graben danach, wenn sie krank und traurig sind, und sie werden geheilt. Als die Menschen nicht mehr in Frieden miteinander lebten, kamen immer mehr tote Mädchen zu Samblana. Und wenn die Rajeta in die Gletscher fiel, schickte sie alle aus über die Berge, damit sie den blauen Stein schneller fänden. Später verteilte sie ihr Kleid unter ihnen, und es blühte überall an den Hängen der Marmolada, in Sennes und Vanna, an der Tofana und selbst im schwarzen Padon. Als aber die Zwillinge kamen, war Samblanas Kleid so kurz, dass sie ihnen nichts mehr davon abtrennen konnte. Da nahm Samblana ihren Schleier und teilte ihn und gab ihn den Zwillingen; sie hüllten sich hinein. Jetzt warnen sie die Menschen vor Unwetter und Kälte, vor Sturm, Hagel und Schnee. Den Zwillingen vertraute Samblana ihren blauen Stein, die Rajeta, an, damit sie ihn den Fürsten der Menschen brächten: So konnten die Menschen Licht und Schatten unterscheiden und erkennen,
ob sie Wahres oder Falsches taten.
Im Grau, das von den Gletschern in die Täler zog, sahen die Mädchen, wie Samblana die Augen öffnete, wie sie sich aufrichtete und um sich blickte. Die Mädchen wollten ihr das Kleid aus den Spalten ziehen, doch Samblanas Befehl traf sie, scharf wie der Wind um die Felsenkare. Samblana hieß die Mädchen in Fels und Gletscher steigen und nach Tannas blauem Stein, der Rajeta, suchen. Die toten Mädchen verteilten sich über die ganze Marmolada. Die Murmeltiere färbten ihre Felle weiß und blieben in den Felsenhöhlen, wo auch Spina de Mul schlief, der Zauberer, der halb Knochengerüst war und halb Maultier. Kein Lebender kann das Rascheln seiner ausgedörrten Haut, das Klappern seiner Knochen hören, ohne ihm in sein trockenes Reich zu folgen. Aber den toten Mädchen konnte er nichts anhaben. Die Murmeltiere hüteten die Rajeta, bis sie kamen, um sie wieder hinaufzutragen an Samblanas Stirn. Die Sonne zeigte sich bleich, Samblana hatte ihren Schleier über alles geworfen. Erst als die Mädchen den blauen Stein wieder brachten, strahlte Samblana,
hieß sie das Kleid aus den Gletschern heben und gab jedem von ihnen ein Stück davon; damit zogen die Mädchen abwärts und verstreuten sich, manche schmiegten sich in einen Felsspalt,
manche legten sich an ein Flussbett, andere verstreuten sich über die Wiesen im Gras: Aus ihnen wurden die Blumen.
Später, wenn sie welkten, blieb ihre Kraft in den Zwiebeln in der Erde zurück, die Menschen graben danach, wenn sie krank und traurig sind, und sie werden geheilt. Als die Menschen nicht mehr in Frieden miteinander lebten, kamen immer mehr tote Mädchen zu Samblana. Und wenn die Rajeta in die Gletscher fiel, schickte sie alle aus
über die Berge, damit sie den blauen Stein schneller fänden.
Später verteilte sie ihr Kleid unter ihnen, und es blühte überall an
den Hängen der Marmolada, in Sennes und Vanna, an der Tofana
und selbst im schwarzen Padon. Als aber die Zwillinge kamen,
war Samblanas Kleid so kurz, dass sie ihnen nichts mehr davon abtrennen konnte. Da nahm Samblana ihren Schleier und teilte ihn und gab ihn den Zwillingen; sie hüllten sich hinein. Jetzt warnen sie die Menschen vor Unwetter und Kälte, vor Sturm, Hagel und Schnee. Den Zwillingen vertraute Samblana ihren blauen Stein, die Rajeta, an, damit sie ihn den Fürsten der Menschen brächten: So konnten die Menschen Licht und Schatten unterscheiden und erkennen,
ob sie Wahres oder Falsches taten.
Anita Pichler, Die Frauen aus Fanis