Dolasilla
Der König erschrak, als er Dolasilla sah. Über die Armentarawiesen kam das Mädchen nach Fanis.
Es trug den Bogen gespannt, und Pfeile steckten
im Köcher. Hinter ihm kamen die Frauen der Fanes, nur die Königin kam nicht. Die Alten sagten, Tsikuta sei wiedergekommen, die jüngeren meinten, Dolasilla würde jedes Unrecht rächen. Doch sie wussten nicht, worin das Unrecht bestand, und was ihnen Tsikuta bedeutete, wussten sie auch nicht mehr. Dolasilla vertrieb die Fremden und ihren König aus den Tälern von Rudo und Tamerse, schickte sie an die Grenze von Fanis, nach Lagorai. Die Kinder aber, welche die Fanes mit den Fremden gezeugt hatten, trieb sie hinaus auf die Armentara-Wiesen, da lebten sie mit den Murmeltieren. Die Fanes ernteten die Gärten der Fremden ab, legten im Frühling keine neuen Samen in die Erde. Sie tauschten Harz und Holz mit den Völkern am Meer. Sie lebten von der Jagd, von Beeren und Kräutern, die sie kannten.
Das Erz holten sie aus den Bergen und bearbeiteten es, richteten ihre Waffen gegen alle,
die ihren Weg kreuzten.
An allen Grenzen ließ Dolasilla Wachen aufstellen. Wenn die Fremden nicht freiwillig umkehrten, schickte sie ihnen ihre Pfeile hinterher. Sie ließ
die Toten über die Felsen werfen, den Fremden entgegen. Die fremden Völker schickten Gesandte, baten um den Weg. Dolasilla gab ihn nicht frei.
Doch die Fremden konnten nicht mehr zurück,
um einen anderen Weg durch die Berge zu suchen. Hinter ihnen, über die gläsernen Berge, nahten auf Maultieren und Pferden, bald friedlich, bald bewaffnet, weitere Völker. Die Fremden boten Dolasilla als Gastgeschenk einen Wacholderzweig, sie boten ihr Mohnblüten vom Megojn, und es wurde Nacht. Die Fremden waren von den Feldern geflohen, hatten nichts, nicht einmal Waffen. Dolasilla lachte und schickte sie fort, jagte ihnen drei Pfeile hinterher und setzte sich auf die Furcia da Fers, schaute hinunter zu den Fremden, die entsetzt ihre Toten bargen. Ihr Kleid leuchtete weit über die Berge,
von der Gardenazza bis in die Marmolada, von der Tofana bis in den schwarzen Padon. Plötzlich hörte Dolasilla ihren Namen rufen, und am Saß dla Porta stand ein junger Mann in der Dunkelheit, Dolasillas Pfeil am Gürtel und in der Hand die Rajeta,
den blauen Stein der Fanes. Dolasilla lächelte,
als sie den Mann sah, er war schön und furchtlos;
sie gab ihm den Namen Eydenet, Nachtauge; er hatte ihren Pfeil im Finstern aus dem Flug genommen,
und sie bat ihn, bei ihr zu bleiben.
Der König erschrak, als er Dolasilla sah. Über die Armentarawiesen kam das Mädchen nach Fanis. Es trug den Bogen gespannt,
und Pfeile steckten im Köcher. Hinter ihm kamen die Frauen der Fanes, nur die Königin kam nicht. Die Alten sagten, Tsikuta sei wiedergekommen, die jüngeren meinten, Dolasilla würde jedes Unrecht rächen. Doch sie wussten nicht, worin das Unrecht bestand, und was ihnen Tsikuta bedeutete, wussten sie auch nicht mehr. Dolasilla vertrieb die Fremden und ihren König aus den Tälern von Rudo und Tamerse, schickte sie an die Grenze von Fanis, nach Lagorai. Die Kinder aber, welche die Fanes mit den Fremden gezeugt hatten, trieb sie hinaus auf die Armentara-Wiesen, da lebten sie mit den Murmeltieren. Die Fanes ernteten die Gärten der Fremden ab, legten im Frühling keine neuen Samen in die Erde. Sie tauschten Harz und Holz mit den Völkern am Meer. Sie lebten von der Jagd,
von Beeren und Kräutern, die sie kannten. Das Erz holten sie aus
den Bergen und bearbeiteten es, richteten ihre Waffen gegen alle, die ihren Weg kreuzten.
An allen Grenzen ließ Dolasilla Wachen aufstellen. Wenn die Fremden nicht freiwillig umkehrten, schickte sie ihnen ihre Pfeile hinterher.
Sie ließ die Toten über die Felsen werfen, den Fremden entgegen. Die fremden Völker schickten Gesandte, baten um den Weg. Dolasilla gab ihn nicht frei. Doch die Fremden konnten nicht mehr zurück,
um einen anderen Weg durch die Berge zu suchen. Hinter ihnen, über die gläsernen Berge, nahten auf Maultieren und Pferden,
bald friedlich, bald bewaffnet, weitere Völker. Die Fremden boten Dolasilla als Gastgeschenk einen Wacholderzweig, sie boten ihr Mohnblüten vom Megojn, und es wurde Nacht. Die Fremden waren von den Feldern geflohen, hatten nichts, nicht einmal Waffen. Dolasilla lachte und schickte sie fort, jagte ihnen drei Pfeile hinterher und setzte sich auf die Furcia da Fers, schaute hinunter zu den Fremden, die entsetzt ihre Toten bargen. Ihr Kleid leuchtete weit über die Berge, von der Gardenazza bis in die Marmolada, von der Tofana bis in den schwarzen Padon. Plötzlich hörte Dolasilla ihren Namen rufen, und am Saß dla Porta stand ein junger Mann in der Dunkelheit, Dolasillas Pfeil am Gürtel und in der Hand die Rajeta,
den blauen Stein der Fanes. Dolasilla lächelte, als sie den Mann sah, er war schön und furchtlos; sie gab ihm den Namen Eydenet, Nachtauge; er hatte ihren Pfeil im Finstern aus dem Flug genommen, und sie bat ihn, bei ihr zu bleiben.
"La ragazza arrivò a Fanis. Aveva l'arco teso e le frecce nella faretra."
"La ragazza arrivò a Fanis. Aveva l'arco teso
e le frecce nella faretra."
Von Pedraces bis Braies drängten sich die Fremden um die Felsen und wurden mit jedem Mond mehr. Immer enger schlossen sie sich zusammen, bis sie
in ihrer Bedrängnis und in ihrer Angst voreinander
an den Felsen hoch-kletterten, die einen über die anderen, bis die Fanisberge unter ihren Körpern verschwanden; der ganze Berg war ein einziger, gehetzter, gejagter, hungriger Körper. Noch schliefen die Croderes. Im Schlaf waren ihnen die warmen Körper der Menschen angenehm. Dolasilla schlief
in den Armen von Eydenet, der Weg der Fanes war frei von Eis und Schnee. Die Murmeltiere kamen aus ihren Höhlen, um die Sonne zu begrüßen, aber sie zeigte sich nicht. Raben flogen nach Osten, weckten mit ihrem Gekreisch die Schlafenden. Sie verteilten sich auf den Graten und Spitzen der Berge, zogen eine lange Grenze zwischen den Fanes und
den Fremden und rührten sich nicht.
Entsetzt sah Dolasilla, dass ihr Kleid nicht mehr leuchtete, dass es dunkel war, als wäre es aus Eisenerz. Sie floh aus Eydenets Armen, hinter
den Steinen lauerten die Murmeltiere, um sie zurückzuführen auf die Armentara-Wiesen.
Die Croderes sahen die Menschen an ihren Felsen und schüttelten sich, schüttelten die Fremden hinein in die Fanis. Dolasilla weckte in großer Angst
die Kriegerinnen und die Krieger, der Berg zeigte sein nacktes Gerippe, sein halbverwestes Fleisch, Dolasilla verlor die Rajeta, die Spina de Mul verschlang, Pfeile rissen die Dunkelheit, Blitze schnitten sie entzwei, Eydenet hörte Spina de Mul nach Dolasilla rufen, er hörte die Schreie der Fanes, er lief, er wollte zu Dolasilla, doch der Weg hatte sich gespalten; halb verlor er sich in Menschenleibern, Stein und Geröll, und es riss ihn an der Forca Lavarella fort, hinunter nach Ciampidell.
Am Le de Paron erschien die Faneskönigin,
sie konnte nur noch die Toten in den Berg begleiten. Eydenet stieg weiter, in Pralonja schaute er sich um, schaute auf Fanis zurück, still und befriedigt schien alles und leblos, nur die Raben flogen auf und setzten sich wieder hin. Eydenet stieg weiter,
über Geröll und Latschenkiefern irrte er südwärts. Als er sich endlich hinsetzte und ruhte, war er
am Megojn, im schwarzen Padon.
Von Pedraces bis Braies drängten sich die Fremden um die Felsen und wurden mit jedem Mond mehr. Immer enger schlossen sie sich zusammen, bis sie in ihrer Bedrängnis und in ihrer Angst voreinander an den Felsen hoch-kletterten, die einen über die anderen, bis die Fanisberge unter ihren Körpern verschwanden; der ganze Berg war ein einziger, gehetzter, gejagter, hungriger Körper. Noch schliefen
die Croderes. Im Schlaf waren ihnen die warmen Körper der Menschen angenehm. Dolasilla schlief in den Armen von Eydenet, der Weg der Fanes war frei von Eis und Schnee. Die Murmeltiere kamen aus ihren Höhlen, um die Sonne zu begrüßen, aber sie zeigte sich nicht. Raben flogen nach Osten, weckten mit ihrem Gekreisch die Schlafenden. Sie verteilten sich auf den Graten und Spitzen
der Berge, zogen eine lange Grenze zwischen den Fanes und
den Fremden und rührten sich nicht.
Entsetzt sah Dolasilla, dass ihr Kleid nicht mehr leuchtete, dass es dunkel war, als wäre es aus Eisenerz. Sie floh aus Eydenets Armen, hinter den Steinen lauerten die Murmeltiere, um sie zurückzuführen auf die Armentara-Wiesen. Die Croderes sahen die Menschen an ihren Felsen und schüttelten sich, schüttelten die Fremden hinein
in die Fanis. Dolasilla weckte in großer Angst die Kriegerinnen und die Krieger, der Berg zeigte sein nacktes Gerippe, sein halbverwestes Fleisch, Dolasilla verlor die Rajeta, die Spina de Mul verschlang,
Pfeile rissen die Dunkelheit, Blitze schnitten sie entzwei, Eydenet hörte Spina de Mul nach Dolasilla rufen, er hörte die Schreie
der Fanes, er lief, er wollte zu Dolasilla, doch der Weg hatte sich gespalten; halb verlor er sich in Menschenleibern, Stein und Geröll, und es riss ihn an der Forca Lavarella fort, hinunter nach Ciampidell.
Am Le de Paron erschien die Faneskönigin, sie konnte nur noch
die Toten in den Berg begleiten. Eydenet stieg weiter, in Pralonja schaute er sich um, schaute auf Fanis zurück, still und befriedigt schien alles und leblos, nur die Raben flogen auf und setzten sich wieder hin. Eydenet stieg weiter, über Geröll und Latschenkiefern irrte er südwärts. Als er sich endlich hinsetzte und ruhte, war er
am Megojn, im schwarzen Padon.
Anita Pichler, Die Frauen aus Fanis